GEISTLICHER CHOR

Meine Hochschulpfarrer - zum Abschied von RB



"Bis wann brauchen Sie das Gutachten ... ?"


Meine Hochschulpfarrer
für Raimund Blanke zum Abschied



Ich bin der Nikolaus ...

(Applaus...)

... und ich leite hier in der KHG den Geistlichen Chor. Und Raimund Blanke und ich haben jetzt 12 Jahre sehr eng zusammengearbeitet, was die musikal. Gestaltung der Gottesdienste betrifft. Die Hauptaufgabe des Geistlichen Chores ist die Gestaltung der Eröffnungs- und Schlussgottesdienste, das heißt 12 Jahre Blanke, das sind 24 Semester, 1 im Sinn: also allein 48 Stück Eröffnungs- und Schlussgottesdienste. Dazu kommen noch Abermilliarden an weiteren Gottesdiensten, Wortgottesdiensten, WJT usw. Daneben auch unsere gemeinsamen literarischen Aktionen, Highlights wie Abende mit Norbert Blüm, 2x Hanns Dieter Hüsch, Elke Heidenreich oder Heiner Geißler. Oft haben wir beisammen gehockt, Cappuccino getrunken, in zwei Minuten ruckzuck Gottesdienste geplant und den Rest der gemeinsamen Stunde dann über alles und jeden gesprochen, z.B. über Tobias Weber, auch ein bisschen gelästert, unheimlich viel gelacht, heimlich 1 Zigarette geraucht - und meistens endete das Gespräch mit einer gemeinsamen Lobeshymne auf unsere absolut geniale Sekrektärin Ursula W., ohne die wir in der KHG völlig aufgeschmissen wären.

Diese enge Zusammenarbeit mit Raimund Blanke begann äußerst konstruktiv. Als wir uns damals kennenlernten, hatten wir sofort den fettesten Krach, den man sich denken kann. So fangen übrigens viele Liebesbeziehungen an, mit einem fetten Krach, im Sinne von: Boäh, watt ist der Typ unsympathisch und blöd - und später wird dann geheiratet. Das ist eine andere Geschichte, die ich hier nicht erzählen will, könnt ihr in der Festschrift von Ulrich Kock-Blunck nachlesen, da hab ich diesen Erstkontakt ziemlich bohlenmäßig dargestellt.

Nur ganz kurz: Ich bin schon lange dabei in der KHG, und habe zwei Hochschulpfarrer erlebt. Zum einen Wilhelm Nyssen und dann ab 1995 Raimund Blanke. Bis auf ein paar ältere Semester hier werden die meisten den früheren Hochschulpfarrer Wilhelm Nyssen gar nicht mehr kennen. Nur so viel: Der Vorgänger von Raimund Blanke, eben dieser Wilhelm Nyssen, hat hier die ganze KHG inkl. Kirche, Zentrum und Wohnheime damals bauen lassen, Mitte der 60er Jahre. Und war dann ziemlich lang Hochschulpfarrer, weil im Erzbistum, so sagte man, alle vor ihm Angst hatten. Schon lange vor meiner Zeit. In der Tat war Wilhelm Nyssen ein sehr eigenwilliger, aber auch ein ungeheuer großzügiger und liebevoller Mensch, und jetzt kann man sich fragen: Nyssen und Blanke, ebenfalls ein eigenwilliger, liebevoller und großzügiger Mensch - trotzdem: Das sind doch wirklich zwei ganz unterschiedliche Pole - warum erzählt der blöde Wolters hier jetzt was von Pfarrer Nyssen?

In den letzten Monaten habe ich viel nachgedacht, wie das früher so war – und wie das bei Raimund bis heute so war. Alle wissen, dass ich ein vollkommen ausgeglichener und ruhiger Typ bin, den nix auf die Palme bringen kann. Die Chorleute kennen mich als ruhender Fels in der Brandung, mitfühlend, nachsichtig, zurückhaltend, sensibel – politisch korrekt in jedem Moment.

Ne, stimmt natürlich nicht die Bohne. Noch heute, 2007, kann ich mich über jede Kleinigkeit mit Genuss aufregen, im Juli geboren, also ein Krebs, schrecklich kreativ, aber leider auch total ein Sensibelchen, hasse Geblubber und Gesabbere, Intrigantentum, unnötiges Getue und vor allem moderierte Besprechungen aller Art, gehe oft und gern an die Decke. Und dabei denke ich, dass ich selbst total perfekt bin und eigentlich mit allem, was ich so sage, auch immer Recht habe.

(Applaus…)

Kurz und gut: Gerade vor dem Hintergrund dieser meiner zahlreichen psychischen Gebrechen, die den meisten hier hinglänglich bekannt sind, gibt es bei beiden Hochschulpfarrern, ja beim alten Wilhelm Nyssen und besonders auch bei Raimund Blanke etwas, was ich wirklich über all die Zeit sehr bewundert habe. Muss ich heute mal zugeben.

Wer annahm, der ja schon ältere Hochschulpfarrer Wilhelm Nyssen habe das Leben und dessen ständige Veränderungen nicht mehr "mitbekommen" oder "mitbekommen können", irrte sich gewaltig. Und genauso irrt derjenige, der von Pfarrer Raimund Blanke je annahm, daß er angesichts der unüberschaubaren Fülle der Einzelteilchen des Lebensmosaiks "Katholische Hochschulgemeinde" zu irgendeinem Zeitpunkt den Überblick verloren hätte. Nein, beide Hochschulpfarrer zeichnet eine ganz ähnliche Lebenslust aus, die ihnen eine äußerst scharfe Beobachtungsgabe verleiht, und es ist zu keinem Zeitpunkt ratsam gewesen, diese zu unterschätzen. Allen Trabanten der gegenwärtigen KHG sei gesagt: Ihr glaubt ja gar nicht, was der Blanke alles von euch weiß, der weiß mehr über euch, als ihr selber von euch wisst.

Zwei Ereignisse - das eine aus der Zeit von Wilhelm Nyssen und das andere aus der Zeit von Raimund Blanke - veranschaulichen eine Eigenschaft, die den beiden Hochschulpfarrern, die ich hier in Köln in der "Burse" er­lebt habe, gemeinsam ist, so unterschiedlich auch der Rest der Welt beide Personen einschätzen mag. Diese Eigenschaft ist das Phänomen, das man auch das Auge des Sturmes nennt: der Mittelpunkt des Wirbelsturms, in dem absolute Ruhe herrscht, während ringsum alles sich dreht und durcheinanderwirbelt (also genau das, was ich nicht sein kann).

Szene 1

Nach einem Sommerfest sitze ich im Büro des Studentenpfarrers Wilhelm Nyssen. Nachdem er ungefähr 700 Hände geschüttelt und zig Gespräche im vom Sommerfest erfüllten Innenhof geführt hat, will er sich einen Moment ausruhen, ein halbes Glas Kölsch leertrinken und mir unbedingt eine neue Kamera zeigen, die er sich gerade angeschafft hat: ein seltsam geform­tes Modell mit Autofocus, computergesteuert und mit zig Möglichkeiten der Einstellung.

Wie so oft kommt es weder zu einem Gespräch noch dazu, dass ich erfahre, was die Kamera alles zu leisten imstande ist. Die Tür fliegt auf, die Assistenten kommen herein, im Schlepptau einen befreundeten Priester von hagerer Statur mit typisch jesuitischer Schilddrüsenunterfunktion, der zwar lieb und nett, in der Konversation aber recht anstrengend, weil vollkommen verklemmt und egozentriert ist. Die Assistenten laden ihn mit hilfesuchendem Blick bei Nyssen ab, verschwinden wieder, sichtlich erleichtert. Kurz darauf erscheint unangemeldet ein Professor der Uni und nimmt ebenfalls in dieser Runde Platz, und es entwickelt sich ein kurzer und heftiger Dialog zwischen ihm und Nyssen über ottonische Bilder, die irgendwo nicht korrekt reproduziert oder selbstverständlich von „irgendeiner transzendentalen Flachpfeife“ völlig falsch interpretiert wurden.

Das Gespräch wird mehrfach unterbrochen durch das Telefon: zunächst ein völlig unbekannter Student, den wir in der KHG noch nie gesehen haben, der ein Gutachten für ein Stipendium benötigt, ein Gutachten, das ihm aktive Teilnahme am KHG-Leben bestätigt. Rückfrage Nyssen: “Bis wann brauchen Sie das Gutachten?" Dann ein Wissenschaftler aus Frankreich (das Telefonat wird auf Französisch geführt), der einen längeren Wohnaufenthalt in der KHG ab übermorgen ankündigt und mit absoluter Be­geisterung ob seines Kommens zu rechnen scheint - dies vor dem Hintergrund, dass Pfarrer Nyssen vor zehn Minuten das letzte freie Gästezimmer einem mittellosen, aber jetzt überglücklichen koptischen Doktoranten überlassen hat, der seine Promotionsprüfung absolvieren will. Dann wieder ein Student, dieser ist  erkrankt und setzt alles auf Nyssens erprobte Fähigkeiten, Hepaptitis- oder sonstwie Krankgewordene rückwirkend in Krankenversicherungen unterzubringen. Und so fort.

Draußen verebbt das Sommerfest, die Tanz-Fete im Saal beginnt, und während Wilhelm Nyssen wiedermal am Telefon sitzt und einer offenbar vollkommen in Tränen aufgelösten asiatischen Studentin mitzuteilen versucht, dass sie aufgrund ihrer absoluten Notlage in Form eines zudringlichen Vermieters schon morgen ins Wohnheim einziehen darf, fliegt – ohne Anklopfen – die Türe auf, und zwei Studenten poltern herein: "Herr Pfarrer, wir brauchen dringend die Vorsatzlinsen für die Discoleuchten für die Fete - aber können sie nirgends finden!"

Jetzt, so dachte ich, der Moment sei gekommen, wo er - Nyssen - nicht mehr mitspielt und explodiert. Ganz ehrlich: Ich wäre da explodiert. Alle im Raum halten den Atem an. Doch Nyssen legt die Hand auf die Muschel, blickt die beiden ganz ruhig an und sagt: "Die Vorsatzlinsen für die Scheinwerfer müssen im Raum hinter der Bühne der Aula liegen, die gelbe, die grüne, die blaue und die rote. Schaut dort nach! Ich bin mir ganz sicher!"

 
Szene 2

Diese zweite Szene liegt noch nicht so lange zurück. Ich habe wieder im Büro des Studentenpfarrers Platz genommen. Es ist früher Abend. Der Studenten­pfarrer hat gerade ein vierstündiges Marathon an Gesprächen hinter sich, die übliche Sprechstunde am Dienstagnachmittag, und einige der Fälle müssen mehr als dramatischen Charakter gehabt haben - das verrät schon allein die Art und Weise, wie Blanke immer wieder die Brille absetzt und die geröteten Augen massiert. Am Vormittag war Dienstbesprechung mit allen Mitarbeitern, danach Besprechungen mit Bauleitern, ein Termin an der Universität mit dem Rektor, am frühen Mittag ein wichtiges Gespräch im Generalvikariat. Auf dem Tisch steht eine halbe Tasse kalt gewordenen Kaffees. Wir finden gerade noch die Zeit, blitz­artig den Messplan für eine Rorate-Liturgie mit dem Geistl. Chor durchzusprechen.

Konzen­trationsintervalle von maximal zwei Minuten: Auch jetzt klingelt ständig das Telefon. Z
unächst ein völlig unbekannter Student, den wir in der KHG noch nie gesehen haben, der ein Gutachten für ein Stipendium benötigt, ein Gutachten, das ihm aktive Teilnahme am KHG-Leben bestätigt. Rückfrage Blanke: "Bis wann brauchen Sie das Gutachten?" Anrufe von einem Theologieprofessor, der endlich seine Teilnahme an einem Diskussionsforum zusagt. Ein Anruf von einem anderen Theologieprofessor, dem Pfarrer Blanke – ohne lang nachzudenken – eine Kurz­fassung eines jüngst erschienenen epochemachenden theologischen Werkes durchgeben muss. Blanke ergänzt sein Referat mit weiteren bibliographischen Angaben und Hinweisen, die am anderen Ende der Leitung offenbar noch völlig unbekannt sind. Dann ein Anruf vom Kollegen aus der ESG. Mitarbeiter aus dem Team (immerhin wird jetzt angeklopft) erscheinen und brauchen rasche Zusagen und Entscheidungen für Vorhaben und Projekte. Studenten rufen an wegen großer und kleiner Nöte. Bitten um Termine. Blanke notiert und notiert, zwischendurch läutet er immer wieder bei Ursula W. im Nachbarbüro an und gibt Daten durch: "Frau W., können Sie mal eben ...?"

Zwei Studentinnen holen sich theologische Literatur und Gebetstexte ab, die Blanke ihnen photokopiert und bereitgelegt hat: Das überdimensonierte Format der Kopien beweist, dass Blanke den Kopierer selbst bedient und dort mit dem Gerät einen längeren Kampf geführt hat. Zwei andere Studentinnen brauchen dringend ein ganz bestimmtes Liederheft, das selbstverständlich nur Blanke besitzt. Das Liederheft wird ausgehändigt mit der garantiert erfolglosen Bitte um gelegentliche Rückgabe. Nebenan und auf dem Flur sind Stimmen zu hören: das von Blanke eingerichtete Mentorat für Theologiestudierende hat seine Sprechstunde begonnen. Pfarrer Blanke verläßt den Raum und begrüßt die Leitenden und die jungen Leute. Dann muss unsere "Besprechung" enden: Denn jetzt findet ein Treffen von Studenten aus dem Wohnheim statt, anschlie­ßend ist ein theologischer Vortrag im Säulensaal, den Blanke moderieren muss.

Gegen 22.30h - wir hatten eine Chorsonderprobe - treffe ich Pfarrer Blanke wieder, er schließt gerade die Türen zum Zentrum ab, nachdem er zuvor die Eingangshalle aufgeräumt, die Töpfe der diversen katholischen Birkenfeigen penibel ausgerichtet und kopfschüttelnd die zahllosen Flyer auf dem  Ständer im Foyer sortiert hat.

Blanke scheint erleichtert, da ein prüfender Griff ins Jackett ihn davon überzeugt, dass er zufälligerweise sowohl im Besitz der richtigen Schlüssel wie auch seiner Brille ist. Blanke begrüßt einige Studenten, die auf dem Weg zum Wohnheim sind.

Dann will er mir von dem Vortrag berichten, doch da springt aus dem Halbdunkel des Vordaches bzw. hinter einem Gebüsch eine ältere Dame - in mir ertönt unwillkürlich das Walküren­motiv - heran, die auch den Vortrag be­sucht hat, und harscht den Pfarrer unsanft an: "Wissen Sie, Pfarrer Blanke, was ich Ihnen schon immer mal sagen wollte: diese modernen Lieder da, die Sie da jetzt in Ihren Gottesdiensten singen, die sind für unsereinen nicht singbar!"

Wieder denke ich: Das muss der Punkt sein, wo er - Blanke - jetzt einfach nicht mehr mitspielt und schlicht und ergreifend explodiert und die alte Dame zumindest verbal jetzt richtig zusammenfaltet. Ganz ehrlich: Ich wäre da explodiert.

Aber nein: Blanke geht ganz ruhig auf die ältere Dame ein, wartet geduldig, bis ihr Re­defluss und ihre Vorwürfe enden, und erklärt ihr kurz und knapp, dass auch aus dem Bestand des Barocks heute etliche Lieder nicht mehr singbar sind, dass aus jeder Zeit nur immer ein Teil des Liedgutes überlebt und so weiter. Ganz ruhig und dialektisch.

Die Dame - deren Gesichtzüge und übrige Physiognomie verraten, dass sie nur wenig Widerspruch von männlicher Seite in ihrem Leben er­fahren hat – hört zu und grummelt irgendwann von dannen. "Das Leben --- ist spannend", sagt Blanke, indem er ihr nachblickt, er atmet tief durch - und erzählt mir dann mit ungetrübter Begeisterung vom eben gehörten Vortrag. "So, Nikolaus - und jetzt gehe ich nach Hause, habe heute - glaube ich - noch gar nichts gegessen..."

 

Lieber Raimund, an dieser Stelle ganz herzlichen Dank an Dich – für Deinen Einsatz hier in der Hochschulgemeinde, für die gute Zusammenarbeit, für alles, was wir auch über die Hochschulgemeinde hinaus miteinander erlebt haben. Aber auch meinen Dank und meine Bewunderung dafür, dass ich in 12 Jahren nicht ein einziges Mal erlebt habe, dass Dich irgendetwas aus der Fassung bringt, dass Du über irgendetwas wütend oder überhaupt mal irgendwann schlecht gelaunt warst. Hat einer von uns Raimund Blanke je mal schlecht gelaunt erlebt? Ich hab’s nie erlebt, und das bewundere ich sehr und das wollte ich heute mal „ganz kurz“ sagen. Danke!

zum Seitenanfang



blublöublui