Ansprache Kard. Meisner (Herzzentrum, 13. Okt. 2007)
Ansprache zur Einweihung des Herz-Zentrums im Universitätsklinikum Köln am 13. Oktober 2007
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Schömig,
sehr geehrter Herr Professor Dr. Erdmann,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Müller,
sehr geehrter Herr Stadtsuperintendent Fey,
verehrte Damen und Herren!
Vom Anfang des Christentums an stand neben dem Gotteshaus immer das Krankenhaus. Im Gotteshaus begegnen wir dem Herrn im Wort und Sakrament. Im Krankenhaus begegnen wir ihm real im kranken Mitbruder oder in der kranken Mitschwester. Im Gotteshaus spricht er über die Gaben von Brot und Wein das Wandlungswort: „Das ist mein Leib“ – „Das ist mein Blut“. Im Krankenhaus spricht er über die Kranken das Wandlungswort: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Die Dimension des Krankenhauses, gleichsam als Gotteshaus, steckt der hl. Patrick (+461) ab in einem Gebet, das uns diesen Christusraum in sieben Dimensionen aufzeigt. Dieses Gebet heißt:
„Ich weihe mich Gottes wachenden Augen.
Ich weihe mich Gottes lauschendem Ohr.
Ich weihe mich Gottes schützenden Händen.
Ich weihe mich Gottes lenkender Weisheit.
Ich weihe mich Gottes offenen Wegen.
Ich weihe mich Gottes bergendem Schild.
Ich weihe mich Gottes rettender Engelschar.“
Siebenmal, also für jeden Tag der Woche, eröffnet sich hier eigens im Herzzentrum der Universitätsklinik in Köln eine besondere Dimension zu Gott und zu den Menschen hin. Das Herz gehört nicht nur medizinisch zu den lebenswichtigsten Organen des Menschen, sondern unter der Bezeichnung „Herz“ verbirgt sich die Wirklichkeit des konkreten Menschen mit seinen Ängsten und Hoffnungen. In einem Herzzentrum erhofft der Patient daher oft nicht nur körperlich Heilung, sondern auch wieder Heil für seine Seele.
1. Ich weihe mich Gottes wachenden Augen
Wir stehen ständig im Augenblick Gottes. Das Verhältnis Gottes zum Menschen ist geprägt von der „Liebe auf den ersten Blick“: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt“ (Jer 31,3). Gott hackt mit seinem Blick nicht in unser Leben wie ein Raubvogel in seine Beute, sondern Gott schaut auf uns mit seinem liebenden Auge. Sein Blick verbindet und tröstet. Unter diesem Blick kann man leben. Wer sich von Gott angeschaut weiß, der erhält ein Antlitz, der wird fähig, auf die Mitmenschen zu schauen mit einem ähnlich guten Blick.
Wir wissen alle, dass Blicke töten können. Blicke können aber auch zum Leben erwecken. Der gute Blick ist der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen. Wenn Sie die Krankenzimmer betreten, wenn Sie an die Krankenbetten herangehen, dann möge Ihnen der gute Blick geschenkt sein, der zum Leben erweckt, der Mut macht, der Vertrauen einflößt.
2. Ich weihe mich Gottes lauschendem Ohr
Gott ist uns gegenüber ganz Ohr. Er hat Sprechstunde rund um die Uhr. Er ist immer zu sprechen. Je enger wir Menschen zusammenleben, desto schmerzlicher spüren wir mitunter die Verschlossenheit voreinander. Das Einfallstor in einen Menschen sind seine offenen Ohren. Der Schöpfer hat uns nur einen Mund gegeben, aber dafür zwei Ohren, damit wir doppelt so viel hören wie reden. Eine entzündete Wunde muss sich sauberbluten können, ausbluten, damit sie heilt. Ein krankes Herz muss sich aussprechen können, damit es Heilung findet. Das ist nur möglich, wenn es das hörende Ohr gibt. Wir weihen uns Gottes lauschendem Ohr, damit wir fähig werden, ganz Ohr zu sein gegenüber denen, die uns im Krankenhaus anvertraut sind.
3. Dann heißt es weiter: Ich weihe mich Gottes schützenden Händen
Gottes Hände zerbrechen nicht, und sie zerstören nicht. Sie zerbrechen nicht das geknickte Rohr, und sie löschen nicht den glimmenden Docht. Die Heilige Schrift sagt: „Und man brachte alle Kranken zu ihm und bat ihn, er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen. Und alle, die ihn berührten, wurde geheilt“ (Mt 14,35-36). Sie sind als Ärzte und als Mitarbeiter im Krankenhaus berufen, die Handlanger Gottes zu sein, damit alles, was Sie mit Ihren Händen berühren, heil wird. Unsere Hände sind zum Heilen da. Nicht umsonst spricht man von der glücklichen Hand des Arztes, von der guten Hand der Krankenschwester, des Krankenpflegers. In den Handlungen der Hände wird die Haltung unseres Herzens sichtbar. Wer sich in den guten Händen Gottes weiß, der bekommt die glückliche Hand, die alles heilt, womit sie handhabt.
4. Dann heißt es: Ich weihe mich Gottes lenkender Weisheit
Das Symbol von Gottes Wissen ist nicht das Gehirn, sondern das Herz. Das Herz weiß mehr, als der Kopf denkt. Gott kennt uns, weil er uns liebt. Und man sieht nur gut mit dem Herzen. Es gibt viele Menschen, die wie ein Fass voll Wissen sind, aber ohne Weisheit. Ihr Wissen ist im Kopf hängen geblieben. Es ist nicht ins Herz gedrungen. Gott schaut auf uns mit seiner Weisheit, damit auch wir auf die Menschen schauen mit den Augen unseres Herzens, die tiefer blicken als die Augen unseres Verstandes. Wo wir mit unserem Latein am Ende sind, dort steht Gottes Weisheit erst am Anfang. Unsere Ratlosigkeit wird von Gottes Weisheit gelenkt.
5. Ich weihe mich Gottes offenen Wegen
Gottes Wege sind keine Holzwege und keine Sackgassen. Gottes Wege sind immer offen und geben Möglichkeiten zur Begegnung. Christus bezeichnet sich selbst als der Weg (vgl. Joh 14,6), und entsprechend definierten sich die ersten Christen als „Anhänger des neuen Weges“, der Christus ist. Im Krankenhaus gibt es so viele Gänge, Türen und Wege. Es sollen offene Wege sein, die Begegnung schaffen und damit Trost und Freude spenden.
6. Und dann heißt es weiter: Ich weihe mich Gottes bergendem Schild
Die Preisgegebenheit gehört zu den größten Übeln unserer Zeit. Das kann besonders spürbar für einen Patienten in einem so großen Krankenhaus werden. Darum suchen die Menschen oft unbewusst den Schutz und den Schirm Gottes. Am Kreuz hat der Herr seine Arme ausgebreitet. Wir leben unter dem Schutz und Schirm seiner bergenden und seiner segnenden Arme. Hier wird uns letzte Geborgenheit geschenkt. Vielleicht ist – bei aller positiven medizinischen Technik – das größte Erfordernis für den Patienten, dass er spürt: Hier hält jemand seine schützenden Hände über mein bedrohtes Leben, hier lässt man mich nicht allein.
7. Dann heißt es schließlich: Ich weihe mich Gottes rettender Engelschar
Gottes Wesen ist geprägt von der Verschwendung. Gott rechnet nicht, und er kalkuliert nicht. Er schenkt uns den Mitmenschen an die Seite und den guten Engel dazu. Der heilige Kirchenlehrer Gregor von Nyssa sagt: „Die Engel sind die Freunde des Bräutigams und damit auch die Freunde der Braut, nämlich der Kirche“. Wir weihen uns Gottes rettender Engelschar, bedeutet: Im Engel ist Gottes Güte konkret geworden an meiner Seite. Er ist die personifizierte Vorsehung Gottes für meinen Weg. Wer das erfahren hat, der kann auch zum Schutzengel für den anderen an seiner Seite werden. Und was wäre für die Patienten hilfreicher, als wenn sie im Arzt, im Krankenpfleger, in der Krankenschwester einem solchen Schutzengel begegnen dürfen. Das Krankenhaus ist also auch eine Art Gotteshaus. Christus sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).
Dieser Christusraum, das Herzzentrum, hat sieben Dimensionen. Am Sonntag heißt es: „Ich weihe mich Gottes wachendem Auge“; am Montag: „Ich weihe mich Gottes lauschendem Ohr“; am Dienstag: „Ich weihe mich Gottes schützenden Händen“; am Mittwoch: „Ich weihe mich Gottes lenkender Weisheit“; am Donnerstag: „Ich weihe mich Gottes offenen Wegen“; am Freitag: „Ich weihe mich Gottes bergendem Schild“; am Samstag: „Ich weihe mich Gottes rettender Engelschar“. Jede Woche kann so im Herz-Zentrum unserer Universitätsklinik eine Woche des Heils für alle werden, die hier Heilung suchen und die hier dem Heil der Kranken dienen. Amen.
+ Joachim Kardinal Meisner
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