GEISTLICHER CHOR

25 Jahre Geistlicher Chor

25 Jahre Geistlicher Chor 
 

 

Ein Gespräch zwischen Hochschulpfarrer Raimund Blanke und Chorleiter Nikolaus Wolters

 

Hochschulpfarrer Pfarrer Raimund Blanke: Nikolaus Wolters, der Chor besteht also jetzt seit 25 Jahren unter Ihrer Leitung?

 

 

Nikolaus Wolters: Als ich nach Durchsicht meiner Unterlagen feststellte, dass es diesen Chor – in ständig wechselnder Besetzung – nun seit 25 Jahren gibt, habe ich mich gefragt: „Wie kann man das angemessen feiern?“ Die einzige Antwort darauf war: Machen wir das, was wir immer tun und wozu wir da sind: einen feierlichen Gottesdienst gestalten – in der Gemeinde, wo dieser Chor zu Hause ist. Und dafür haben wir den Sonntaggottesdienst in der Kirche der Katholischen Hochschulgemeinde am Christkönigsfest, 26. November 2006, um 11.30 Uhr festgelegt. Als Ordinarium haben wir Teile aus der Missa brevis in d-Moll (KV 65) von Mozart ausgewählt, und im Proprium singen wir einige unserer liturgischen Best-of-Hits der vergangenen Jahre.

 

 

Blanke: Wie war die Situation damals, als Sie anfingen?

 

 

N. Wolters: Gemeinsam mit Wolfram G., der mit mir studierte, hatte ich die Idee: Lass uns einen Chor gründen! In der KHG gab es eine gregorianische Schola, aber keinen vierstimmigen gemischten Chor. Wilhelm Nyssen, Ihr Vorgänger im Amt des Hochschulpfarrers, war begeistert und hat unsere Chorarbeit, die sehr bald allein meine Arbeit wurde, vielfältig unterstützt. Von Anfang an waren immer so viele Leute da, dass wir vierstimmig agieren konnten – bis heute. Im Jahr 2004 waren wir 24 Mal im Einsatz, im WJT-Jahr 2005 gab es 26 Auftritte. Irgendwie scheitern alle Versuche, mal etwas kürzer zu treten.

 

 
 

 

Pfarrer Blanke: Das Auftrittspensum der Geistlichen Chores ist immens. Wie gelingt es Ihnen, junge Leute für die geistliche Musik zu interessieren, zu begeistern?

 

 

N. Wolters: Das liegt an meinem unglaublichen Charisma …

Pfarrer Blanke: Ah ja .... 

N. Wolters: Nein, die Sache ist so: Der Geistliche Chor der Katholischen Hochschulgemeinde – da treffen sich Leute, die auf einer Wellenlänge liegen, eine gemeinsame Basis haben, die nie angezweifelt, auch nie diskutiert wird. Diese „Begeisterung“ bringen sie mit, die muss ich nicht wecken. „Wir sind halt ziemlich ‚churchy’“, so hat es neulich ein Chorleiterkollege formuliert. Den Mitgliedern des Geistlichen Chores geht es um Gestaltung von Gottesdiensten – in einer unaufdringlichen, aber feierlichen Form; musikalisch nie festgelegt auf eine Epoche, auf einen bestimmten Stil oder Richtung. „Ich hätte nie gedacht, dass man in einer Messe für Studenten Mozart und NGL, Bach, Gospels und Marienlieder nebeneinander bringen kann“, sagte ein Besucher nach einem Semester­gottesdienst. Doch, man kann, behaupte ich, aber wir tun alles, damit unsere Musik nie die empfindliche Dramaturgie der Liturgie stört, nie aufgesetzt wirkt, sondern ein Teil davon wird. Und immer auch im Verbund mit der Gemeinde, mit Wechselgesängen – wenn wir z.B. einen Mozart mit Orchester singen, begleitet das Orchester dann immer auch die Gemeindegesänge, auch die neuen Lieder, sodass Gemeinde und Chor eine Einheit werden.

 

 

Pfarrer Blanke: Eine Hochschulgemeinde umfasst nicht nur die Studentinnen und Studenten. Die Hochschulgemeinde ist ein Zentrum für alle, die sich der Universität, den Hochschulen und ihrer Gemeinde verbunden fühlen, auch über das Studium hinaus. Auch im Chor der KHG singen ehemalige Studenten. Dennoch die Frage: Wie funktioniert ein geistlicher Chor mit derart vielen Auftritten und unterschiedlichen Programmen dauerhaft, der zum Großteil aus Studentinnen und Studenten besteht, die ja immer nur einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung stehen?

 

 

N. Wolters: „Dauer im Wechsel“ – das Goethe-Wort gilt auch für den Geistlichen Chor der KHG. Wir haben natürlich kein Repertoire, das – wenn es um größere Werke wie Bachkantaten oder größere Messordinarien geht – weiter zurückreicht als etwa fünf Jahre. Im Grunde beginnt der Chor jedes Semester neu, was jede Routine verhindert. Es gibt einen harten Kern an Chorleuten, ohne die nichts funktionieren würde. Das gilt auch für unseren Organisten, Dr. Thomas H., der seit vielen Jahren den Chor bei den großen Gottesdiensten begleitet, ein phantastischer Organist und auch genialer Begleiter von Sologesängen und instrumentaler Musik jeder Art. Und die Leute aus dem harten Kern des Chores helfen bei der Einstudierung – Karin P. ist hier zu nennen – und bei der umfangreichen Organisation, hier vor allem Stefan L.: Startenor, Finanzchef und Organisationsgenie in einer Person. Dennoch ist es uns gelungen, ein Grundrepertoire zu erarbeiten, das die meisten kennen und neue Chorleute sich dann sehr schnell aneignen können, weil die anderen ihnen helfen. Wenn nun jemand neu in den Chor kommt, gibt’s keine Eingewöhnungsphase, sondern die für viele überraschende und sicher oft auch erschreckende Information: „Toll, dass du mitmachen willst, versuche, dich da rasch reinzufinden, denn übernächste Woche müssen wir den Mozart, Schubert, Vivaldi usw., also das, was wir gerade üben, vortragen! Schau, jetzt fahren wir wieder nach Paris, besuchen unsere Freunde, die Deutsche Gemeinde St. Albertus Magnus!“ Wer dadurch nicht abgeschreckt wird, sondern den Mut hat, sich darauf einzulassen, ist mit dabei. Es gab Leute, die mal „nur so“ zugucken wollten, und dann, ehe sie sich versahen, einen Part als Solist übernehmen mussten, so dass sie gar nicht mehr zu entscheiden hatten: Mache ich da in Zukunft mit? Sondern: Hoffentlich schaffe ich mein Solo bis nächste Woche ... Dieser Sprung ins kalte Wasser ist zugegebenermaßen recht herb, aber zugleich eine sehr gute Schulung, denn auch Leute ohne Notenkenntnisse oder Chorerfahrung lernen hier, sehr schnell musikalische Strukturen zu erfassen.

 

 

Pfarrer Blanke: Beim Weltjugendtag hatte der Geistliche Chor ja Großeinsatz. Sicherlich ein Höhepunkt in der Chorgeschichte. Wenn Sie zurückblicken: Was waren die Sternstunden dieses Chores?

 

 

N. Wolters: Es ist bei uns so wie im Fußball: „Nach der Messe ist vor der Messe.“ Jetzt, im November und Dezember haben wir wieder etliche Termine in der Hochschulgemeinde, und wir haben kaum Zeit, uns zurückzulehnen und zu sagen: War doch gar nicht schlecht, letzte Woche der Eröffnungsgottesdienst …

Der Weltjugendtag war wirklich eine intensive Zeit: Wir haben am WJT-Dienstag das große Open-Air-Konzert „Music all over the World“ in der Hochschulgemeinde eröffnen dürfen mit Rocksongs und Gospels. Am WJT-Mittwoch haben wir unsere Aktion „Let’s sing Mozart“ gestartet: mit ca. 100 WJT-Gästen in vier Stunden nachmittags eine Mozart-Messe einstudiert und abends dann im ökumenischen Gottesdienst aufgeführt im überfüllten Innenhof der KHG, wo kein Quadratzentimeterchen Platz mehr frei war, 500 Leute standen noch draußen auf der Straße. Wir waren, so habe ich es vor dem Gottesdienst mitgeteilt, sozusagen die Vorgruppe der „Wise Guys“.

 

 

Das mit Sicherheit von der Andacht beeindruckendste Highlight war die Pontifikalvesper als Abschluss der internationalen Hochschulseelsorgekonferenz am WJT-Freitag, 19. August – in der zum Platzen gefüllten Kirche der Hochschulgemeinde, mit hochrangigen Kirchenleuten und Studentenseelsorgern aus aller Welt, unter Leitung von Bischof Mussinghoff. Der Geistliche Chor und Dr. Thomas H. an der Orgel. Daran haben wir lange gebosselt im Vorfeld, bei der Auswahl der Stücke, viele Freunde haben mir geholfen. Der Ablauf wurde zuvor in Rom streng geprüft und für gut befunden. Kardinal Meisner konnte nicht anwesend sein, weil er ja zeitgleich in St. Pantaleon war mit Papst Benedikt bei den Priesteramts­kandidaten. Ich habe ihm später eine Aufnahme geschickt, die ihm sehr gut gefallen hat: Er hat einen langen Dankesbrief an den Chor geschrieben. Auch der Semesterschluss­gottesdienst mit Kardinal Meisner im Rahmen der Dekanatsvisite am 8. Februar 2006 in der Hochschulgemeinde war sicher ein Höhepunkt; er hat oft davon erzählt.

 

 

Als Sternstunden empfinde ich auch die „kleinen“ Gottesdienste, etwa die stillen Rorate-Messen im Advent oder den Karmittwoch, den wir traditionell mit dem Geistlichen Chor gestalten als Einleitung in die Passionszeit – das sind Gottesdienste, die wir auch für uns selbst feiern. Aber musikalisch können wir auch anders! Wenn die Zeit es zulässt, lassen wir es auch mal krachen und singen z.B. in den Serenadenkonzerten der KHG dann Rocksongs, von „Jailhouse Rock“, „It’s my Party“ bis hin zu unserem Lieblings-Chorkracher „It’s my Live“ von Jon Bon Jovi…

 

 

Pfarrer Blanke: Sie sind „nebenamtlicher“ Kirchenmusiker, hauptberuflich arbeiten Sie als freier Verlagslektor. Verheiratet, Familie, vier Kinder. Wie organisieren Sie das alles, Familie, Beruf und Chor? Wie sind Sie zur Kirchenmusik gekommen?

 

 

Meine Frau habe ich im Chor kennengelernt, insofern wusste sie, dass die Kirchenmusik und der Geistliche Chor ein Teil meines Daseins darstellen. Und sie unterstützt mich da sehr, auch, was sehr hilfreich ist, in kritischer Distanz. Aber es ist nicht einfach, immer alles unter einen Hut zu bekommen, und die Kinder kennen es nicht anders, dass Papa da abends oft „Chor hat und in die Burse muss“.

 

 

Zur Kirchenmusik? Alles gegen meinen Willen! Der ehemalige Stadtdechant von Duisburg, Heinrich Schwering, hat mich im Alter von 11 Jahren in der Kapelle des Altenheims Marienhof in Mülheim/Ruhr, meiner Heimatstadt, an das Harmonium gesetzt: „Du spielst Klavier, also kannst du auch den Gemeindegesang begleiten!“ Hab mir das alles dann selbst beigebracht, Liedbegleitung. Bis zur Bundeswehr hab’ ich dann immer im Altenheim und in meiner Heimatgemeinde St. Michael in Speldorf gespielt, bin jetzt 46 und mache also seit 35 Jahren ununterbrochen Kirchenmusik. Als ich 15 war, hat mich mein Vater gegen meinen Willen an der Domsingschule in Essen zum C-Kurs angemeldet. Das lief neben dem Gymnasium, zwei Jahre lang Seminar, 4 Stunden am Samstagnachmittag, dazu Orgelunterricht unter der Woche. Ich war grotten­schlecht, während der Ausbildung der absolute Loser, hatte nie im Chor gesungen, konnte keinen Ton halten und erfuhr dort in Essen zum ersten Mal, dass es Sopran, Alt, Tenor und Bass-Stimmen gibt. Als ich mit der Chorleiterprüfung dran war, Wolters war der Letzte im Alphabet nach 2 Tagen ununterbrochen Prüfungen (die anderen Prüflinge stellten ja den Chor): Ich bin vor Angst zitternd auf dem Weg zum Pult gestolpert, alles hat gelacht, und da habe ich innerhalb eines Sekundenbruchteils mein ganzes mühsam erarbeitetes Konzept für die Chorleiter-Prüfung über den Haufen geworfen und hab gedacht: Du musst die Leute jetzt weiterhin zum Lachen bringen, das ist es! Die Prüfungskommission saß da wie ver­steinert, mein armer Orgel- und Chorleitungslehrer, Josef Heiermann, ein phantastischer Organist und Kirchenmusiker, hielt die Hände vorm Kopf. Und das wurde eine der besten Chorleiter­prüfungen meines Jahrgangs, die Leute haben applaudiert. Dies vor dem Hintergrund, dass ich ja zwei Jahre lang jedes Mal beim Chorleiten völlig versagt hatte. Im Grunde arbeite ich heute noch so wie in dieser Prüfung, und es macht den Leuten und mir immer noch Spaß. Wer mittwochabends gegen 20.00 Uhr an der KHG-Kirche vorbeikommt, hört uns entweder kräftig singen oder laut lachen. Ich glaube, das ist exakt das, was man unter gut katholisch versteht, oder?

 

 

Pfarrer Blanke: Der Spaß – die Freude am Singen und an der liturgischen Gestaltung, das ist das, was diesen Chor auszeichnet. Und das spüren unsere Gottesdienstbesucher. Die musikalische Gestaltung ist nie aufdringlich, und – so erlebe ich es jedes Mal – der Chor und die Gemeinde sind keine getrennten Bereiche, sondern verschmelzen in der Liturgie zu einer Einheit. Auch wenn ganz unterschiedliche Musik erklingt: mal eine Renaissance-Messe, die traditionellen Rorate-Messen im Advent mit alten Hymnen von modernen Komponisten bearbeitet, ich erinnere mich an einen Blues über „Herzliebster Jesu“ und „Wachet auf“ in einer atemberaubenden Jazzversion, Vespern oder Gottes­dienste zu Epiphanie mit neuromantischer Musik, Bachkantaten, Händel, Reger, alte und neue Passionslieder, auch Gospels und NGL, also eine große Vielfalt! Und immer wieder Mozart ...

 

N. Wolters: Ja, wenn wir moderne Messen gesungen, von Gretchaninoff, Flor Peeters, Alan Wilson, oder ganz alte Messen, z.B. von Gabrieli, oder uns längere Zeit in den verschiedensten Epochen der Kirchenmusik bewegt haben, dann müssen wir einfach einmal im Jahr auch wieder eine Mozart-Messe machen. Das ist eine stille Übereinkunft. Ich habe mit dem Chor jetzt fast alle Missa-brevis-Werke von Mozart gesungen, und die Missa brevis ist – modern gesprochen – ein ideales „Format“ für uns und den Gottesdienst. Dank der hervorragenden Solisten, die alle aus dem Chor kommen, und unseren erprobten Instrumentalisten wird die Arbeit an einer Mozart-Messe jedes Mal wieder zum Erlebnis. Wer je irgendwelchen Glaubenszweifeln unterliegt, sollte sich ein Mozart-Agnus-Dei anhören, noch besser: mitsingen. Ein „Agnus Dei“ von Mozart ist so voller Zuversicht, dass es selbst die tiefsten Zweifel überwindet. Die Bitte „Dona nobis pacem“, oft dann in ein ¾-Takt-Allegro wechselnd, wird zur einer absoluten Erlösungsgewissheit: Man weiß einfach, dass einem jetzt gar nichts mehr passieren kann!

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